Freitag, 15. Mai 2009

Rückfahrt über das Erdölfeld


Der Schnee ist jetzt fast getaut und man sieht, dass auf dem Erdölfeld „Povkh“, dort wo früher einmal Wald war, heute Sandwüste ist. Der Schnee hatte alles so schön zugedeckt.



Ich habe hier aber die Chance, mich von meinem chantischen Freund Vladik Ketschimov zu verabschieden, der vom 11. Mai bis 11. Juni hier seine Monatsschicht abarbeitet (ohne freie Wochenenden, dafür dann den nächsten Monat frei). Koltschu ist mit ihm befreundet und kennt den Weg zur „Salzauflösungszeche“, wo Vladik arbeitet.


Rentiergeburt

Jurij und ich stehen jeden Morgen noch vor den Jungs auf, um die Rentierherde und die Mutterkühe zu suchen, die sich jetzt von der Herde trennen, um Junge zu gebären. Antons und Koltschus Mutter ist in der Stadt Nizhnevartovsk und hat dort einen Sohn zur Welt gebracht. Wir vier Männer sind mit dem Lehrerehepaar allein auf dem Wohnplatz.


In Abwesenheit seiner Frau macht sich Jurij daran Brot zu backen, was ihm auch ziemlich gut gelingt.





Wir finden die Rentierherde und treiben sie vor uns her. Ich laufe zu Fuß oder sitze auf dem angehängten Schlitten. Jurij hat mich hauptsächliche für den Fall mitgenommen, dass er wieder ins Eis einbricht und natürlich auch, damit ich etwas über die Rentierzucht lerne und schöne Aufnahmen mache.



Wir finden auch eine Rentierkuh, die gerade geworfen hat.



Jurij will das Junge gleich mit Ohrmarken versehen (jeder Rentierzüchter schneidet die Ohren der Rentiere auf seine Weise, um sie als Eigentum zu markieren). Die Mutter versucht, ihr Junges zu verteidigen, muss aber klein beigeben.







Das Rentierkälbchen hat die schmerzhafte Operation schnell vergessen und läuft zu seiner Mutter.





Wir finden noch ein weiteres Rentierkälbchen, das seine Mutter verlassen hat. Hoffentlich wird sie zurückkehren, sonst ist das Junge verloren.


Der Multimediastützpunkt

Die letzten Tage vor meiner Abreise verbringe ich wieder auf dem Wohnplatz von Jurij Vella. Eines Abends tauchen mit einem Jeep zwei junge Männer von der Universität aus Chanty-Mansijsk auf und bringen Technik für einen Multimediastützpunkt, ein UNESCO-Projekt, um die Indigenen mit dem Internet zu verbinden.


Sie bringen Sattelitenschüsseln an, eine für den Fernsehempfang, eine fürs Internet. Jurijs Enkel Koltschu und Anton bekommen eine Videokamera, einen digitalen Fotoapparat und ein Diktiergerät. Jurij soll in den nächsten Tagen einen neuen Laptop bekommen.



Leider musste für den Sattelitenempfang eine große Schneise in den Wald geschlagen werden, der den Wohnplatz im Winter vor den eisigen Westwinden schützt. Die Computerspezialisten sind aber nur für eine Nacht gekommen, es ist keine Zeit über Alternativen nachzudenken, da sie am nächsten Morgen bereits wieder abreisen. Koltschu stellt sich mit dem Fotoapparat ziemlich geschickt an. Hier eine Auswahl seiner Aufnahmen vom Wohnplatz.



Sein Bruder Anton probiert die Videokamera aus.



Der Kater Katafej hat bereits lokale Berühmtheit erlangt, seitdem er in einem Werbefilm des Regionalfernsehens aufgetreten ist.



Es wird langsam wärmer und auch die Waldameisen kriechen aus ihrem Bau. Es gibt hier mindestens sechs verschiedene Arten von ihnen.







Koltschu probiert ausgiebig mit der Kamera herum und so habe ich die Chance auch ein paar Mal portraitiert zu werden.



Das Eis auf den Seen taut und die Motorschlitten können einbrechen. Juri musste ein paar Kilometer zu Fuß nach Hause laufen, um Hilfe zu holen, weil seine Enkel wieder mal die Handys ausgeschaltet hatten oder Spiele auf ihnen spielten. Es gelingt uns aber, den „Buran“ herauszuziehen und zu starten. Passiert etwas Ungewöhnliches, so ist das willkommener Anlass fotografisch festgehalten zu werden. Die Jungs sollen für die Internetseite der Universität eigentlich den Alltag auf dem Rentierhalterwohnplatz dokumentieren, sie wissen aber nicht, was daran interessant sein könnte.



Wir transportieren einen Teil der Ausrüstung zum Frühjahrswohnplatz. Der Fernseher ist in eine Bettdecke eingewickelt, den Videorekorder halte ich mit den Händen fest.



Ich mache ein Foto von den beiden Jungs mit ihren Lehrern. Sie fahren in den nächsten Tagen ins Dorf, um dort ihre Abschlussexamen zu absolvieren. Anton (rechts) beendet die 9. Klasse, Koltschu wird die 11. Klasse abschließen und dann zum Wehrdienst einrücken.

Mittwoch, 13. Mai 2009

Haareschneiden bei Kechimovs

Die ständige Stromversorgung vom Erdölfeld ermöglicht den Einsatz von elektrischen Schermaschinen.


Vladik schneidet Zhenja die Haare. Zhenja ist ein Russe aus dem Dorf, der für Kost und Logis auf dem Wohnplatz von Kechimovs aushilft. Solche ehemaligen Arbeitslosen gibt es jetzt auf vielen Rentierhalterwohnplätzen, weil staatliche Sozialhilfe quasi nicht existiert.



Tolik, der Freund von Vladik aus Kogalym schneidet mir die Haare. Ich bin froh, dass die Wolle zum Beginn des Frühlings vom Kopf herunter ist.



Die Jäger haben die erste Flugente von der Jagd mitgebracht. Sie reicht gerade dafür, dass jeder einen kleinen Bissen Entenfleisch und einen Teller Suppe bekommt.

Montag, 4. Mai 2009

Ausgehen in Kogalym

Vom Wohnplatz im Wald geht es in die Erdölstadt Kogalym. Vladik Kechimov hat hier seine Clique und ich schau mir an, wie die Jugend die Abende in der Stadt verbringt.


Haupttreffpunkt aller Jugendlichen sind die Hausflure der Plattenbauten. Noch ist es zu kalt, in der Stadt umherzuziehen, also steht man im Hausflur, telefoniert, quatscht und trinkt Bier.



Die Gespräche der Jungs kreisen um Mädchen, Videoclips auf den Handys, Alkohol und Drogen, die Eigenschaften von Ethnien und Subkulturen, Militärdienst und die Zukunft. Wird es in vier Jahren den Weltuntergang geben und soll man sich bis dahin gepflegt besaufen, oder soll man heiraten, um nach der harten Arbeit das fertige Essen und das gemachte Ehebett serviert zu bekommen? Die Gespräche werden mit steigendem Alkoholpegel absurder und ich bin froh, gegen drei nach Hause zu kommen ohne Prügelei oder weitere Kontakte mit der Miliz.

Schützenfest in Russkinskaja und Winteraustreibung in Kogalym

Ich dachte eigentlich, die Zeit der Festivitäten ist vorbei, aber Kechimovs erzählen mir, dass es am Wochenende in Kogalym ein Volksfest und im Dorf Russkinskaja Tontaubenschießen gibt. So bekomme ich die Gelegenheit andere Volksbelustigungen mit den „chantischen“ Festen vergleichen zu können.





In Kogalym wird symbolisch der Winter vebrannt und die Frauen der Erdölarbeiter nutzen das sonnige Frühlingswetter, um die Kinderwagen auszufahren während die Männer das erste Bier im Freien genießen.

Der Winter meldet sich aber urplötzlich mit Schneetreiben zurück und das Fest ist noch vor dem offiziellen Ende vorbei.



Am nächsten Tag fahren wir mit dem Freund der Familie, Tolik dem Moldawier, der einige Rentiere in Kechimovs Herde besitzt nach Russkinskaja, wo die Männer ihre Männlichkeit mit Jagdwaffen beweisen können.

Ich glaube Valentina hätte auch gern teilgenommen, aber sie bekommt nur auf dem Foto die Waffe in die Hand gedrückt.



Ich bin inzwischen der Familienfotograf. Nachdem auch hier mein Blog verfolgt wird, werde ich regelrecht beauftragt, die Familienfotos zu veröffentlichen. Hier sieht man Tolik in der Mitte, neben ihm sein Sohn Vanja, Vladik Kechimov und ein Cousin von ihm und am Rand seine Mutter Valentina und zwei Schulfreundinnen von ihr aus Russkinskaja.

Mittwoch, 29. April 2009

Jagdausflüge und Fischfang






Noch trägt das Eis auf den Seen, auf denen sich schon Tauwasser gebildet hat, und es liegt eine dünne Schneedecke auf den Sümpfen, so dass man mit dem Motorschlitten zu Jagd und Fischfangausflügen aufbrechen kann. Es ist gerade die Zeit der Schneeschmelze in der Schwäne, Enten und Gänse aus dem Süden zurückkehren. Wir haben sogar schon Kraniche gesehen.


Die Jäger verständigen sich untereinander und mit ihren Frauen Zuhause per Mobiltelefon.



Viele Stadtbewohner nutzen ihre Kontakte zu Chanten, um auf deren Land einem der beliebtesten Hobbys russischer Männer nachgehen zu können. Tolik der Moldawier ist bereits seit über 20 Jahren mit der Familie Kechimov befreundet. Er hat mit dem verstorbenen Familienvater Vasilij von einem Teller gegessen, wie sich Valentina ausdrückt.





Leider waren weder die Jagd, noch das aufwendige Löcher bohren im Eis von Erfolg gekrönt. Auch die Zherlicy, Fallen für Raubfische, richteten nicht ihre roten Fähnchen auf. Also gibt es weder frischen Fisch noch Geflügel und wir ernähren uns von den Rentierfleischvorräten, die noch aus dem Winter in der Tiefkühltruhe lagern, und Einkäufen aus der Stadt.

Dienstag, 28. April 2009

Frühjahrswohnplatz der Kechimovs


In der Zeit, in der die Rentiere Junge bekommen, werden sie in einen großen Pferch auf den Frühjahrsweiden gesperrt. Hier stehen leichte Behausungen, fast Zelte, die man früher mit Birkenrinde, jetzt mit schwarzer Plastefolie verkleidet.


Zusammen mit den Rentieren von Kechimovs weiden die von zwei weiteren verwandten Familien, die auch häufig ins nahegelegene Winterhaus von Valentina zu Besuch kommen. Der kleine neugierige Tolik möchte sich gern mit mir unterhalten, aber er versteht mein Chantisch nicht und Russisch kann er noch nicht.


Den Bullen wachsen bereits frische Geweihe, während die Rentierkühe noch ihre Vorjahresgeweihe tragen. Sie werden sie erst abwerfen, nachdem sie ihre Jungen bekommen haben und die Neugeborenen nicht mehr verteidigen müssen.


Valentina und Vladik wohnen noch im Winterhaus am Fluss, an dem sich auch die „Telefonzelle“ befindet, ein Stuhl, von dem man Verbindung zum Mobilfunknetz hat.

Unangenehme Abenteuer

Nachdem die Zeit der Rentierhalterfeste erst mal vorüber ist, nehme ich das Angebot von Familie Kechimov an, auf ihren Wohnplatz zurückzukehren und hier den Beginn des Frühlings zu erleben. Von den Jagdausflügen und dem Beginn der Schneeschmelze werde ich in den nächsten Tagen berichten.

Eines Tages taucht am anderen Flussufer ein unbekannter Jeep auf. Aus ihm steigt ein Polizist, der Nachforschungen zu einem Messer anstellt, das waffenscheinpflichtig sei und wohl im Unglückswagen gefunden wurde (zum Unfall siehe Eintrag vom 20. Februar 2009). Er besteht darauf die Papiere aller auf dem Wohnplatz anwesenden zu kontrollieren. Als er mitbekommt, dass ich Ausländer bin, zwingt er mich in die Stadt mitzukommen. Es wird eine lange Fahrt über schlammige Straßen und ich werde den Rest des Tages bis nachts um drei Uhr im Jeep und in der Polizeiwache verbringen. Angeblich müssten hier jetzt alle Ausländer, deren Papiere zufällig kontrolliert würden, erkennungsdienstlich behandelt und Finger- und Handabdrücke, Kopien der Ausweispapiere und „Verbrecherfotos“ in eine Kartei eingefügt werden. Als ich nach Seife oder wenigstens einem Lappen frage, um die schwarze Farbe von meinen Händen zu waschen, erklärt man mir, die gäbe es nicht, man sei zu arm. Dafür kann ich mir einen Eindruck von den sogenannten 'Affenkäfigen' machen, den Zellen, in denen Betrunkene die Nacht verbringen, und diese sich lauthals darüber beschweren hören, dass man sie seit Stunden nicht ihre Notdurft verrichten lasse. Sie bekommen als Antwort nur, sie sollen doch auf den Boden machen, das würde schon weggewischt. Immerhin bietet mir der Fahrer des Polizeiwagens an, bei ihm zu Hause zu übernachten, als der Wagen auf dem Rückweg auf halber Strecke den Dienst versagt. Dann schaffen wir es doch noch nach Kogalym zurück, wo er repariert werden kann und ich gelange tatsächlich nach drei Uhr wieder ans Ufer des Flüsschens, auf dessen anderer Seite der Wohnplatz von Kechimovs liegt. Glücklicherweise funktioniert der Mobilfunk und ich kann per Handy jemanden wecken, damit man mich mit dem Schneemobil über das bereits tauende Eis transportiert. Zu Fuß wäre es bereits zu gefährlich.

So ging meine Begegnung mit den Vertretern der Staatsmacht doch noch glimpflich zu Ende. Ich hatte mich schon in den Zellen irgendeines Geheimdienstes gesehen. An meinen Papieren konnte man auch nicht so recht einen Fehler entdecken. Immerhin weiß ich jetzt, wie sich Ausländer beispielsweise in Deutschland fühlen, wenn sie alleine durch ihre Anwesenheit unter dem Generalverdacht stehen, die Aufenthaltsgesetze verletzt zu haben.

Sonntag, 19. April 2009

Rentierfest in Russkinskaja und Kogalym

Mit den Festen anlässlich des „Tages des Rentierzüchters“ im Dorf Russkinskie am 28.03. und in der Erdölstadt Kogalym am 11.04. schließe ich meine Besuchsreihe dieser Art von Festivitäten ab. Beginn und Höhepunkt bilden hier die Rentierschlittenrennen.



Da es inzwischen unmöglich geworden ist, mit den Rentiergespannen direkt in die Stadt zu fahren, weil überall Straßen und Erdölfelder entstanden sind, transportieren die Erdölfirmen als Hauptsponsoren die Rentiere mit LKWs zum Festplatz.


Beim letzten dieser Feste geht ein Rentiergespann durch und überfährt mich frontal. Meine Nase wird verletzt und muss im Krankenhaus genäht werden. Wie durch ein Wunder bleibt die Kamera und der Rest meines Körpers heil.


In Russkinskaja kann ich vor dem Fest die Versammlung der Ureinwohner besuchen und aufzeichnen, wie die örtliche Verwaltung und Vertreter von Betrieben Rechenschaft ablegen und Auszeichnungen verteilen. Die Chanten nutzen die Gelegenheit Beschwerden und Klagen vorzubringen. Das Ganze erinnert sehr an Versammlungen zu Sowjetzeiten und es kommt auch nur ein kleiner Teil der Einwohner.



Neben den Rentierrennen finden noch allerhand Sportwettkämpfe statt, die als typisch für die Nordvölker gelten, jedoch zu Zeiten der Sowjetunion „entwickelt“ wurden. Dazu gehört auch der Ringkampf an dem hier Vladik Pokachev teilnimmt, den ich auf dem Wohnplatz im Wald kennengelernt habe.


Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat die Zahl der Souvenirstände zugenommen. Vom Bärenfell bis zu Spielzeugchanten in Spielzeugzelten sind hier alle möglichen und unmöglichen Souvenirs zu erwerben.