Mittwoch, 17. Dezember 2008

Fragen II: Die russische Trikolore und kostenloser Strom

In einer E-Mail fragte mich mein Vater, wie viele Chanten denn noch traditionell im Wald wohnen.

Ich habe versucht in meinen Texten deutlich zu machen, dass im Alltag der Rentierzüchter die Unterscheidung traditionell versus modern gar keine Rolle spielt. Sie unterscheiden eher das Leben im Wald vom Leben in der Stadt, das „chantische“ Leben vom „russischen“ Leben. Natürlich werden auch im Wald Elemente des Lebens in der Stadt übernommen. Vor allem die Versorgung mit elektrischem Strom verändert viel.

Ich habe am 29. November die Familie Ruskin besucht. Hier gibt es recht viele städtische Dinge: die Hütte wird mit Strom beheizt, die Hausfrau kocht mit Elektroherd und Mikrowelle, die Wände sind mit Tapeten beklebt und es hängen kleine elektrische Leuchter an den Wänden. Es gibt einen Fernseher und einen DVD-Player. Wie zum Zeichen, dass die Bewohner stolz auf die Errungenschaften des Lebens aus der Stadt sind, hängt eine russische Flagge an der Wand. Ansonsten ist der Wohnplatz aber ganz chantisch eingerichtet. Das Blockhaus hat nur einen Raum, in dem man auf dem leicht erhöhten Boden gegenüber dem Eingang schläft. Um das Haus innerhalb des Gatters laufen tagsüber Rentiere, die abends freigelassen werden. Unweit gibt es eine Reuse, in der Hechte, Barsche und Alande gefangen werden. Zu Hause wird nur Chantisch gesprochen.







Wenn ich die Frage, wie viele Chanten traditionell leben, so auffasse, dass es um die Anzahl der Chanten geht, die als Rentierzüchter im Wald leben, dann kann ich sagen, dass heute immer noch genau so viele chantische Familien auf den Wohnplätzen im Wald leben, wie vor hundert Jahren. Es sind in der Region, in der ich mich befinde, an den Flüssen Tromagan und Agan einige hundert Familien mit bestimmt über 1000 Leuten. Die chantische Bevölkerung hat aber insgesamt in dieser Zeit stark zugenommen. Die medizinische Versorgung ist sehr viel besser geworden und es gibt viele gemischtethnische Ehen, deren Kinder sich als Chanten definieren, weil sie nur dann von staatlicher Unterstützung profitieren können. So kommt es, dass heute die meisten Chanten, vielleicht drei Viertel, in den Siedlungen und Städten wohnen.



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